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JORDAN RAYNOR: DIE DUNKLE SEITE DER DISZIPLIN

JORDAN RAYNOR: DIE DUNKLE SEITE DER DISZIPLIN

Wenn du es geschafft hast, dir alle sieben Prinzipien und zweiunddreißig Anwendungen in [Kaufe deine Zeit aus] durchzulesen, wirst du wahrscheinlich denken: „Wow, Jordan ist echt diszipliniert.“

Es stimmt, dass ich unglaublich diszipliniert mit meiner Zeit umgehe, und ich stehe auch dazu. Warum? Weil wir in diesem Buch gesehen haben, dass Jesus selbst sehr diszipliniert mit seiner Zeit hier auf der Erde umgegangen ist. Er wollte den Vater verherrlichen, indem er das Werk vollendete, das ihm aufgetragen wurde (vgl. Joh 17,4). Jesu Beispiel zeigt uns, dass Disziplin eine Tugend ist, und das ist ein Thema, das die Autoren der Heiligen Schrift im gesamten Neuen Testament aufgreifen. Der Apostel Paulus schrieb zum Beispiel:

„Ihr wisst doch, wie es ist, wenn in einem Stadion ein Wettlauf stattfindet: Viele nehmen daran teil, aber nur einer bekommt den Siegespreis. Macht es wie der siegreiche Athlet: Lauft so, dass ihr den Preis bekommt! Jeder, der an einem Wettkampf teilnehmen will, unterwirft sich einer strengen Disziplin. Die Athleten tun es für einen Siegeskranz, der bald wieder verwelkt. Unser Siegeskranz hingegen ist unvergänglich. Für mich gibt es daher nur eins: Ich laufe wie ein Läufer, der das Ziel nicht aus den Augen verliert, und kämpfe wie ein Boxer, dessen Schläge nicht ins Leere gehen. Ich führe einen harten Kampf gegen mich selbst, als wäre mein Körper ein Sklave, dem ich meinen Willen aufzwinge. Denn ich möchte nicht anderen predigen und dann als einer dastehen, der sich selbst nicht an das hält, was er sagt“
(1Kor 9,24-27 NGÜ).

Als Christusnachfolger „verlieren wir unser Ziel nicht aus den Augen“. Wir sind zu „Disziplin“ aufgerufen, indem wir das vorleben, was Paulus auch „Selbstbeherrschung“ als Frucht des Geistes nennt (vgl. Gal 5,22–23). Disziplin ist ein Nebenprodukt eines geisterfüllten, christlichen Lebens. Aber wie bei allen guten Dingen können wir Disziplin leicht zur wichtigsten Sache in unserem Leben machen und sie so in einen Götzen verwandeln. Disziplin ist ein Geschenk, aber sie kann auch ein Fluch sein. Das ist die Herausforderung, vor der ich stehe; ich bete, dass es bei dir nicht so ist. Am Ende dieses Buches, das voller Übungen steckt, die dir helfen sollen, deine Zeit auszukaufen, möchte ich dich zu etwas auffordern: Halte nach zwei Anzeichen Ausschau, die darauf hindeuten, dass du dich auf die dunkle Seite der Disziplin begeben hast und dieses gute Geschenk zu einem Götzen geworden ist.

Erstens können wir erkennen, dass Disziplin zu einem Götzen geworden ist, wenn wir nicht in der Lage sind, anderen, die weniger diszipliniert sind, Gnade zu erweisen. In seinem unglaublich guten Buch Bedingungslos geliebt: Von zwei verlorenen Söhnen und einem liebenden Vater zeigt Timothy Keller, dass viele von uns wie der ältere Bruder in Jesu Gleichnis vom verlorenen Sohn sind. Im Gegensatz zu den jüngeren Brüdern, die ihr Selbstbild auf Freiheit und Rebellion aufbauen, gründen ältere Brüder ihr Selbstbild darauf, „dass sie hart arbeiten, rechtschaffend sind, einer hochrangigen Familie angehören oder äußerst intelligent und gebildet sind.“[1] Das hört sich nach mir und vermutlich auch nach dir an, wenn dieses Buch dich angesprochen hat. Aber hier liegt das Problem. Als ältere Brüder „führt [es] unweigerlich dazu, dass sie sich denjenigen überlegen fühlen, die nicht über dieselben Qualitäten verfügen“.[2]

Kann ich für einen Moment ganz ehrlich sein? Die letzte Zeile trifft mich bis ins Mark, denn an meinen schlimmsten Tagen bin ich genau das. Wenn mir jemand erzählt, dass er oder sie sich vor E-Mails kaum retten kann oder Schwierigkeiten hat, sich jeden Tag Zeit für das Wort Gottes zu nehmen, wäre meine erste Reaktion vielleicht, ihm oder ihr zu helfen. Aber es besteht auch eine große Chance, dass ich ein bisschen stolz darauf sein könnte, disziplinierter und besser zu sein als mein Gegenüber. Wenn jemand zu spät zu einem Treffen kommt oder etwas vergisst, weil sein oder ihr System der Erinnerungshilfen nicht annähernd so robust ist wie meines, koche ich manchmal innerlich vor selbstgerechter Wut und versuche dabei die Tatsache zu verbergen, dass auch ich genau die gleichen Fehler gemacht habe.

Kannst du nachvollziehen, wovon ich spreche? Ich glaube nicht, dass ich damit allein bin. Wenn du dich hier wiederfindest, möchte ich dich (und mich selbst) an etwas erinnern: Die Hauptursache für unser Versagen, den weniger disziplinierten Menschen in unserem Leben Gnade zu gewähren, liegt darin, dass wir das Evangelium außer Acht lassen. Wir dürfen nicht vergessen, dass alles, was wir haben – einschließlich unserer Fähigkeit, diszipliniert zu sein, wenn wir unsere Zeit auskaufen – ein Gnadengeschenk ist.

In Jakobus 1,17 heißt es: „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab, von dem Vater der Lichter, bei dem keine Veränderung ist, noch ein Schatten infolge von Wechsel.“ Unsere Fähigkeit, diszipliniert mit unserer Zeit umzugehen, ist ein Gnadengeschenk Gottes, genau wie die Errettung, „damit niemand sich rühme“ (Eph 2,9b).

Die Weisheit, die ich in diesem Buch vermittle, kann ich mir nicht anrechnen lassen. Im Laufe der Jahre hat Gott mir in seiner Gnade Bücher, Mentoren, Software und Systeme zur Verfügung gestellt, um mir zu helfen, meine Zeit zu seiner Ehre zu nutzen. Ich habe nichts anderes getan, als mich willentlich an diesem Prozess zu beteiligen. Und selbst das kann ich mir nicht anrechnen lassen, denn Gott ist derjenige, der mich jeden Morgen aufwachen lässt, damit ich diese Arbeit tun kann. Jedes Wort dieses Buches ist ein Gnadengeschenk. Der Herr hat mich benutzt, um dieses Wissen mit dir zu teilen. Ich bete dafür, dass du und ich die Anwendungen aus diesem Buch umsetzen, um unsere Zeit auszukaufen und damit anderen, die noch nicht mit dem nötigen Wissen und Know-how beschenkt wurden, Gnade zu erweisen.

Natürlich ist der strenge Umgang mit anderen nicht die einzige Art, auf die wir merken können, dass wir uns auf die dunkle Seite der Disziplin begeben haben. Das zweite Zeichen dafür, dass wir Disziplin zu einem Götzen gemacht haben, ist, dass wir nicht in der Lage sind, uns selbst gegenüber Gnade walten zu lassen. Ich kann hart zu mir selbst sein, wenn ich nur zwei statt vier Stunden Deep Work erledigt habe. Ich kann wütend werden, wenn unser Kind die ganze Nacht wach war und ich meine kostbaren 8 Stunden Schlaf nicht bekommen konnte. Ich kann sogar deprimiert werden, wenn ich meine Quartalsziele nicht erreiche.

Auch hier ist die Lösung das Evangelium. Deshalb möchte ich dieses Buch so beenden, wie ich es begonnen habe: Indem ich uns daran erinnere, dass das Evangelium uns von aller Notwendigkeit befreit, produktiv zu sein. Gott braucht unsere perfekt abgearbeiteten To-do-Listen nicht. Er liebt uns und nimmt uns an, egal, wie viele gute Dinge wir tun und egal, wie produktiv wir sind.

Lies dir noch einmal 1. Korinther 9,25 (NGÜ) durch: „Jeder, der an einem Wettkampf teilnehmen will, unterwirft sich einer strengen Disziplin. Die Athleten tun es für einen Siegeskranz, der bald wieder verwelkt. Unser Siegeskranz hingegen ist unvergänglich.“ Unser Siegeskranz ist unvergänglich. Ja, unsere Kronen können mehr oder weniger Juwelen enthalten, je nachdem, wie wir dieses Leben gelebt haben. Und das sollte uns motivieren, unsere Zeit auszukaufen, so wie es Paulus motiviert hat. Aber unser Platz in Gottes Reich – unsere Position als Prinzen und Prinzessinnen – ist für immer sicher. Möge diese Sicherheit dazu führen, dass wir uns „einer strengen Disziplin unterwerfen“, wenn wir versuchen, unsere Zeit auszukaufen. Mögen wir Menschen sein, die wie Jesus zielstrebig, präsent und äußerst produktiv im Namen unseres Königs sind.

 

(Epilog aus Kaufe deine Zeit aus)

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[1] Timothy Keller, Bedingungslos geliebt: Von zwei verlorenen Söhnen und einem liebenden Vater (Brunnen Basel: Fontis, 2015), 61.

[2] Ebd.

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